Hurra, die Welt geht unter!

von Valeria Heintges

5. Mai 2021. Die Autorin lässt alles in Flammen aufgehen. Laura Naumanns Stück "Das hässliche Universum" geriet bei seiner Frankfurter Uraufführung 2017 zu einem apokalyptischen Weckruf. In Sapir Hellers mit dem Nachspielpreis ausgezeichneten Inszenierung am Münchner Volkstheater formuliert der Text nun einen schaurig-schrägen Abgesang auf die Welt, wie wir sie kennen.

Das Wort "Abgesang" darf man wörtlich verstehen. Denn die Goodbye-Show, die die Leuchtschrift verkündet, nutzt eine Band für ihr letztes Konzert. "This is a funeral", sagen sie. "Let’s have the best funeral ever." Die Band: ein Quartett aus lauter Celebrities, sozusagen. Frida Kahlo trifft Freddy Mercury trifft Marilyn Monroe trifft den Gladiator. Da hat Ausstatterin Anna van Leen ganze Arbeit geleistet, die Damen und Herren erkennt man sofort. Durchgehende Augenbrauen und Zopffrisur bei Nina Steils, goldenes Kleid, blonde (etwas zu lange) Mähne, tiefer Ausschnitt bei Anne Stein. Silas Breiding im pseudo-metallener Kurzrüstung und Vincent Sauer in weißem Unterhemd, enger Jeans und typischer Frisur samt Schnauzbart. Selbst das Brusthaartoupet zeigt die Livestream-Kamera in voller Schönheit.

Attentat auf die Kanzlerin

Die Welt geht unter? Scheiß drauf, was für eine geile Party – das scheint das Motto dieses hochgradig komischen, bravourös gespielten und äußerst phantasievoll inszenierten Abends zu sein. Regisseurin Sapir Heller (hier im Interview) streicht dafür gleich mal eine Rolle und verteilt den Text auf die übrigen vier so, dass sich die Rollen nicht zu-, aber die Szenen doch einordnen lassen. Die Story, die sich herausschält, geht etwa so: Eine Mutter von drei Kindern, ein in einem Mehrfamilienhaus lebender Mann und dessen Nachbarin Sahar plus der "engagierte Bürger mit A." – sie gehen alle einer Person auf den Leim, die sich Rosa nennt, die aber nie auftritt und auch sonst unfassbar bleibt. Rosa richtet sich per Internet an die Unzufriedenen dieser Republik – ach was: der ganzen Welt. Sie steckt irgendwie hinter einem Attentat auf die Kanzlerin und sagt jedenfalls, so die Meinung ihrer Anhänger, zur rechten Zeit das Richtige. Und zündelt, muss man hinzufügen, genau dort, wo der Stoff am trockensten und die Wut am größten ist. Am Ende lesen alle auf allen Bildschirmen dieses Planeten den Aufruf "Alles muss brennen". Und dann gehen sie los und zünden alles an. "Humans made the earth glow", sagen sie. Und sind auch noch stolz drauf.

3 dashaesslicheuniversum ninasteils annestein vincentsauer silasbreidingcarnodeclairApokalypse und Spaß dabei: Vincent Sauer, Nina Steils, Anne Stein, Silas Breiding © Arno Declair

Ja klar, ein wenig mehr intellektuellen Tiefgang in der Analyse der Rosa-Szenen hätte man sich wünschen dürfen. Das weiß auch Sapir Heller und konzentriert sich deshalb bei ihrer Fassung auf das Grotesk-Gruselige dieser Horrorvision. Alle vier Personen suhlen sich in ihrer Unzufriedenheit – und haben gleich auch das passende Liedchen dazu. Schließlich ist man eine Band. Allerdings lassen sich die Lieder kaum erkennen. So zerdehnt sind die Hits, so ungewohnt ist ihr Rhythmus. Da wird Langsames schnell und Schnelles langsam gesungen, Leises geschrien und Lautes gesäuselt. Mit dieser Methodik des Bekannten im Unbekannten rücken Heller und ihr Team auch den üblichen Wutbürger-Sprüchen und den Posen all der Influencer*innen auf den Leib (ja, der Stoff passt gut in Corona-Querdenker-Zeiten). Bekanntes wird so überhöht, verliert seinen Schrecken und entlarvt dabei gleichzeitig das zugrundeliegende Muster. Wenn etwa Anne Stein minutenlang alle Angebote nur mit "Nein!" bedient – Vegetarierin? Nein! Feminismus? Nein! UN? Nein! EU? Nein! Livestream? Nein! – zeigt sie in ihrer zunehmenden Verzweiflung tatsächlich die Sackgasse, in die diese Verweigerungshaltung führt.

Bemerkenswert, dass die Stimmung nicht in die Gegenrichtung, in den Klamauk abdriftet. Das verhindern die Untergangsfantasien, die trotz allem ihren Schrecken verbreiten. Das verhindert Heller mit kontrastierenden ruhigen, konzentrierten Szenen. Und das verhindern die Schauspieler, die enorm wandelbar agieren und in Sekundenschnelle auf neue Situationen (und Lichtszenen) umschalten können. Ein faszinierender Livestream, der sehr genau auch mit den Kameras spielt. Und doch – das alles würde man zu gerne live sehen.

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Das hässliche Universum
von Laura Naumann
Regie: Sapir Heller, Bühne und Kostüme: Anna van Leen, Musik: Ralph Heidel, Dramaturgie: Laura Mangels, Licht: Björn Gerum.
Mit: Nina Steils, Anne Stein, Silas Breiding, Vincent Sauer.
Dauer: 1 Stunde, 20 Minuten (keine Pause).
Live-Stream aus dem Münchner Volkstheater für den Heidelberger Stückemarkt 2021.
www.muenchner-volkstheater.de/
 

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