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Fabienne Dür - Gelbes Gold
Kurz vor ihrem Studienabschluss in der Großstadt kommt Ana zurück in ihre Heimat, zurück in ihre Vergangenheit – zu ihrer Familie und zu ihrer alten Schulfreundin Juli, welche die Kleinstadt nie verlassen hat. Doch hier bei ihrem Vater, der den Imbiss "Zum Gelben Gold" betreibt, hier, wo "diese Stille, diese Weite" auf die Enge der Kleinbürgerlichkeit trifft, sind die Uhren nicht stehengeblieben. Modernisierungsmaßnahmen in der Gegend bedrohen die Existenz des Vaters und dessen Freundin. Julis sicheren Hafen mit Mann, Haus und Job gibt es auch nicht mehr. Und warum ist Ana überhaupt zurückgekommen? Alle Vier stecken sie in der Krise. Müssen sie sich am Ende doch mit dem Gedanken an eine ganz andere Zukunft anfreunden, als jener, die immer sicher schien? Dür beschreibt in ihrem Stück das Gefühl vom Heimkommen und Erwachsengewordensein, von Lebenskrisen und Entscheidungen.
Fabienne Dür wurde 1993 in Berlin geboren. Sie studierte zunächst Theaterwissenschaft und Deutsche Philologie an der Freien Universität Berlin und anschließend Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Sie erhielt den Sonderpreis des Kinder- und Jugendtheaterpreises 2018 des BMFSFJ und war 2019 Leonard-Frank-Stipendiatin des Mainfrankentheaters Würzburg. Aktuell ist sie für den berliner kindertheaterpreis 2021 des Grips Theaters Berlin nominiert, in dessen Rahmen ihr erstes Kindertheaterstück entsteht. Fabienne Dür arbeitet als Autorin und Dramaturgin in Berlin.
Autor*innen und Stücke
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Das Stückporträt: Gelbes Gold – Fabienne Dür
von Jorinde Markert
In Fabienne Dürs Stück sprechen auch die Lücken. Es sind dialogische Auslassungen, deren landschaftliche Pendants man in der Sorte kleinstädtischen Randland findet, in dem die Handlung angesiedelt ist.
"es gab Wetten, sagt Silvi, ob du wirklich kommst. niemand hat auf Ja gesetzt,
nicht mal dein Vater – ich hab immer gesagt: wenn sie wieder auftaucht, dann so wie sie weg ist: wie gebeamt, ohne ein Wort, zack und da bist du"
Das Halbgesagte und Abgebrochene gewährt Einblick in die Tektonik aus Vorgeschichten – die Leerstellen sind keineswegs leer.
"Eine Abbildung eines authentischen Sprechens interessiert mich eigentlich nicht“, sagt Dür. "Vielmehr versuche ich, die Dialoge in eine Künstlichkeit zu ziehen, indem ich stark verknappe und verschiebe, sodass die Sprache etwas Sprödes kriegt."
Die Stimmung eines Ortes, wo Idylle und Plattenbau einander "gute Nacht wünschen" und Stagnation und Fortschritt gleichermaßen drohen, vermittelt sich auf jeder Seite des Stücks. Wie man auf kleinstädtischen Brachflächen weggeworfene Gegenstände fremder Leute, Retro-Plakate und Edding-Kritzeleien findet, die in der augenscheinlichen Eintönigkeit eigene Kleinst-Kosmen bilden, so stößt man in "Gelbes Gold" auch überall auf diese Details, die einen Ort und einen Text erst als bewohnt auszeichnen.
Es hätte auch die Currywurst sein können
Trostlos wirkt der alte Heimatort trotzdem, auf dessen Bahnsteig Heimkehrerin Ana der Stille und "verschiedenen Sorten Rasenmähern" lauscht. Eigentlich sollte sie gerade ihr Studium abschließen in der Großstadt, in die sie vor allem gezogen ist, weil die weit genug weg liegt vom Heimatkaff. Ob die Heimkehr nun eine Großstadt-Pause oder ein Abbruch werden soll, wusste die Autorin des Stücks zu Beginn selbst noch nicht. Ein Fixpunkt für die Stückentwicklung war von Anfang eine Figur mit einer genialisch anmutenden Passion für Pommes. "Es hätte auch die Currywurst oder etwas anderes sein können. Mir ging es um diese Begeisterung, durch die die Person fast zum verkappten Künstler wird, den niemand versteht."
Diese Hingabe an die Kunst des Frittierens personifiziert sich mit Anas Papa Fritz, der in der Provinz geblieben ist, aus der erst die Mutter seiner Tochter, dann die Tochter selbst abgehauen ist. In seinem Lebensprojekt, dem Imbiss "zum gelben Gold", schlägt er zwischen den Fritteusen sein Nachtlager auf, lauscht auf den helleren Klang des brodelnden Fetts, wenn die Fritten fast fertig sind – "fast wie Musik ist das" – und steht immer ganz kurz vorm Durchbruch zur Formel der perfekten Pommes. Dass sowohl seine Wohnung als auch sein Lebenswerk bald einem Outlet-Center zum Opfer fallen sollen, für das die ganze Siedlung planiert wird, ignoriert er.
Auf Goldsuche
Sie habe schon die Sorge gehabt, Klischees zu bemühen, sagt Dür. "Figuren wie Fritz sind sehr weit weg und gerade deshalb natürlich gut zu zeichnen. Aber ich versuche eher, verschrobene Einzelpersonen und Einzelschicksale zu beschreiben als Personen, die für Typ XY stehen." Mit zur Essstörung tendierender Selbstregulierung widmet sich Fritz unermüdlich der "Goldsuche". Er ist dabei um einiges abgeklärter – weiser vielleicht – als das Umfeld glaubt, das ihn belächelt oder an ihm verzweifelt. Dass es kein perfektes Rezept gibt, weiß er – aber "der Mensch braucht einen Rahmen". Damit bringt er die Krise auf den Punkt, in der die anderen Figuren sich befinden – der Rahmen fehlt oder passt nicht.
Der Geruch von Frittierfett, dem man im "gelben Gold" nicht entkommen kann, taucht immer wieder synonym auf für etwas Schäbiges, Peinliches, Schamhaftes, Provinzielles, das man loswerden will. So heißt es über Fritz' Geliebte Mimi, die seit "durch die Ficker von Blume2000 der Job weg war", seit zehn Jahren also, "übergansgweise" im "gelben Gold" aushilft: "was die anfässt, muss man nachher polieren/ Fettflecken/so eine fettige Person". Die Pommes, die Provinz – es ist peinlich, wenn es haften bleibt.
Deshalb ist es wohl als kleine Rache zu verstehen, wenn Anas Kindheitsfreundin Juli ihr beim Wiedersehen sagt: "du hast dich nicht verändert/keinen Zentimeter". Was vielleicht meint: Du bist raus aus der Kleinstadt, aber die Kleinstadt ist nicht raus aus dir.
Juli, die in der örtlichen Kita arbeitet und das Haus der ausgewanderten Eltern bewohnt "klebt hier fest wie Kaugummi". Dableiben ist kein Entschluss, sondern das Fehlen eines Entschlusses. Dass Ana, die der Fortschrittslogik nach durch Großstadtleben und Jurastudium Hochstatus erworben hat, jetzt freiwillig wieder in der Provinz beim Papa Kartoffeln schält, ist eine Demütigung für die Hiergebliebenen. Die Vertrautheit zwischen den beiden erzählt sich eher über routinierte gegenseitige Vorwürfe und das Gehör für Unausgesprochenes als über Nettigkeiten. Sie reden in Alte-Zeiten-Codes und verstehen einander. Dass auch der:die Leser:in versteht, beweist die Geschicklichkeit der dialogischen Arbeit.
Verspieltheit im Schreiben
Gestrandete Figuren, denen in ihrer Lähmung "fest installierte Elemente wegbrechen müssen, damit etwas Neues passieren kann" haben Fabienne Dür auch schon in ihrem Stück "Leben im Vakuum" beschäftigt, das 2019 am Theater Koblenz uraufgeführt wurde. "Vielleicht musste das Thema noch mal eine Runde drehen."
Sie kam über die Arbeit als Regieassistentin zum Schreiben. "Und dann hat sich für mich vor allem die Dialogform als geeignet erwiesen, weil sie aus der Form heraus eine Gegenüberstellung von Perspektiven ermöglicht und erzwingt. Das erleichtert für mich die Auseinandersetzung mit Themen."
Mit ihrem Kindertheaterstück "Warten auf Schnee" ist die Autorin momentan für den Berliner Kindertheaterpreis des GRIPS-Theaters nominiert. Im April entscheidet sich, welches der fünf nominierten Stücke dort zur Uraufführung kommt. Dür, die an der freien Universität Theaterwissenschaft und an der Universität der Künste Szenisches Schreiben studierte – um Theatertrends also kaum herumkommt – sagt, dass es ihr Freiheit gibt, für junges Publikum zu schreiben. Es darf mehr Verspieltheit im Schreiben geben, es muss nicht "en vogue" sein.
Eine unaufgeregte Verspieltheit findet auch in "Gelbes Gold" Raum. In Figurensprache und gut platzierten Absurditäten des Kleinstadtlebens setzt sich öfter eine leise Komik durch, die genau so zu dem Stück gehört wie der melancholische Grundton.
Das Stück verschreibt sich mit viel Genauigkeit und Feinsinn der Ödnis und Klaustrophobie kleinbürgerlicher Lebensentwürfe, wo Träume sich auf eine Wohnung mit Balkon beschränken – trostlos ist es trotzdem nicht. Man ist gerne dort – es ist behaglich warm wie an der Fritteuse oder wie wenn Sonne auf Plattenbau knallt. Das liegt daran, dass es Fabienne Dür gelingt, bei aller Lust zur Absurdität, letztendlich vor allem Verständnis für ihre Figuren herzustellen und deren schrullige Klugheit und trotzige Tragik zu bejahen.
Am Ende schmerzt es, die Provinz wieder zu verlassen – nicht nur, weil es dort die besten Fritten gibt.