Autor*innenpreis
Patty Kim Hamilton - Peeling Oranges
Nach längerer Abwesenheit kehrt Jae nach Oregon zurück, in das Haus, in dem ihre Mutter Umma und ihre jüngere Schwester Luna leben. Luna steht am Beginn ihres Erwachsenenlebens, Jae ist sich selbst schon ganz nahe. Umma breitet ihre Erwartungen an die Töchter ganz im Erbe der verstorbenen Großmutter wie einen Teppich über den beiden aus. "Peeling Oranges" handelt von den Geschichten dreier Frauen mit koreanischen Wurzeln in Amerika, von ihren Geistern, ihrer Familie und ihren Erinnerungen. Auf der Suche nach Aufbruch, nach Zukunft, nach sich selbst. Patty Kim Hamilton schafft eine multisensorische Atmosphäre mit dem sanften Fluss, in dem ihre Figuren miteinander agieren. Ihr Schreiben arbeitet an der Fläche von Körpern, Familie, Sprache und Heilung.
Patty Kim Hamilton ist Autorin und Performance-Künstlerin, und befindet sich im Abschluss ihres Master für Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Ihr Stück "Peeling Oranges" erhält eine spezielle Erwähnung bei den Autorentheatertagen 2021 am Deutschen Theater Berlin. Derzeit ist sie in der Schreibwerkstatt am Ballhaus Naunynstrasse und ihr Stück "Sex Play" ist von der Europäischen Theater Convention eingeladen. Ihr Stück "ICH HÄTTE GERN ZU MEINER LEBZEIT KEIN KRIEG (I don't wanna experience war)" wird 2021 am Stadttheater Bremerhaven zur Uraufführung kommen.
Autor*innen und Stücke
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Das Stückporträt: Peeling Oranges – Patty Kim Hamilton
von Elena Philipp
März 2021. "Drei Frauen in einem Haus, drei Seelen die aufeinanderprallen, Durch Zellen und Geschichten miteinander verbunden.“ So selbsterklärend beginnt "Peeling Oranges", mit einem Prolog, der die Figuren und das Erzählprogramm einführt. Drei Frauen: Jae, ihre Schwester Luna und beider Mutter, hier nur "Umma", koreanisch für Mutter, genannt. Schwierig ist ihr Verhältnis zueinander, düster sind ihre Erinnerungen. Die Verbindung über die Gene und die Geschichten ist verwickelt, knotig, faserig. Wie die drei Protagonistinnen beginnen, das Garn ihrer Familiengemeinschaft zu entwirren, erzählt Patty Kim Hamilton mit souverän verketteten roten Fäden.
Alte Wunden reißen auf, als Jae nach zehn Jahren nachhause zurückkehrt, aus Seattle, wo sie studiert und gearbeitet hat. Eine Tennessee-Williams-Situation. Entfremdet ist sie ihrer Schwester, die erst sieben Jahre alt gewesen ist, als Jae mit 16 auszog. In der langen Zwischenzeit haben sich ihre Rollen verkehrt. Nun ist Luna für die wohl depressive Mutter da: "Luna massiert den Rücken von Umma. Es ist ein zärtlicher Moment. Jae ist nicht Teil davon." Galt die rationale, strebsame Jae in Ummas Augen stets als Vorbild für Luna, muss sie sich jetzt, nach dem Verlust ihres Jobs, innerlich neu einnorden. Luna hingegen weiß, was sie möchte: Zahnärztin werden, eigenständig sein und nach Mexico-Stadt reisen, wo ihr Vorbild Frida Kahlo lebte.
Seelisch brüchig wirken die Figuren, beschädigt durch familiäre Rollenzuweisungen und kulturelle Verhaltensvorgaben. Umma ist als junge Frau in die USA eingewandert, mit dem Vater der Schwestern, den sie auf einer US-Militärbasis in Seoul kennenlernte: "Jemand hat Versprechungen gemacht, Jae-ah", vertraut sie der großen Tochter an. "Jemand hat mir von den Rosen erzählt. und dem Garten. und einem großen Haus mit einer Veranda." Unerwähnt blieben die Schattenseiten der Abmachung: "Jemand hat mir nicht von seiner alten, kranken Mutter erzählt." Umma gab für den (durchweg namenlosen und direkt nach Lunas Zeugung verschwindenden) Vater ihren Wunsch auf, Sängerin zu werden und ging ihm nicht nur in die Falle, sondern machte sich schuldig: Während sie die Schwiegermutter pflegte, starb ihre eigene Mutter – allein in einem koreanischen Krankenhaus.
Mit magische Händen
Schmerz und Schuld, Trauer und Wut prägen ein Frauenleben? Nur vermuten lässt der Text, wie Umma die Töchter alleinerziehend durchbrachte, als Migrantin, bloß mit Grundkenntnissen der englischen Sprache. Ihr Nacken schmerzt, von der nicht genau benannten Arbeit in einer Arztpraxis, vielleicht als Sprechstundenhilfe. Linderung schaffen die Töchter mit ihren "magischen Hände“ – einer der wenigen von Umma, Jae und Luna für gut befundenen Familiengaben.
Füreinander da sind sie, trotz aller gefühlten Bitternis und der Furcht vor einer Wiederholung der Familiengeschichte. Anders als Umma einst um die "Halmoeni", die Großmutter von Jae und Luna, kann sich eine der Töchter stets um die Mutter kümmern. Ihr Verhalten bereitet ihnen Sorge: Wie eine "verrückte Frau auf dem Dachboden" kramt sie im Haus herum. (Wohl nicht zufällig klingt hier die feministische Studie über viktorianische Literatur, "The Madwoman in the Attic", an.) Zu viel wird Luna auch das Gerede der Kleinstadt, das sie seit ihrer Kindheit verfolgt: "Das sind ihre Töchter, diese armen Mischlinge, ihr Vater ist weggelaufen und ihre Oma ist gestorben und sie haben das alte Spukhaus dieser verrückten alten asiatischen Dame hinterlassen …"
Vorurteile hat aber nicht nur das Umfeld: "Gut, dass niemand, schwül ist, den ich kenne", karikiert Jae die Homophobie ihrer Mutter – und erzählt ihr wohlweislich nicht von ihrer Geliebten Mizuki. Wüsste Umma von der Liebschaft mit der US-Amerikanerin japanischer Abstammung, würde sie "durchdrehen", ist Luna sicher. Verkörpert Mizuki doch die doppelte Kolonialgeschichte Koreas, das ab 1910 von Japan besetzt war, 1945 geteilt und von der Sowjetunion wie den USA verwaltet wurde.
Gemeinsamer Alptraum
Dicht gewebt ist Patty Kim Hamiltons Theatertext, den genau getaktete Regieanweisungen wie "Beat", "Pause" und "Stille" rhythmisieren. Komplex aufeinander bezogen sind Themen wie Weiblichkeit und Familie, Migration und Kolonialismus. Die Frauen haben alle einen Alptraum, in dem eine der anderen auf dem Dach des Hauses steht, weiß gekleidet wie eine Spukgestalt – bedroht und in prekärer Position. Zyklisch kehrt der Alptraum wieder, und spiralförmig ist auch die Zeit angelegt im Stück, das Epigenetik zur Grundlage seiner Narration macht.
Die Erfahrungen der vorherigen Generationen prägen den Vorstellungshorizont der nachfolgenden: "Der Wunsch meiner Mutter, der Wunsch ihrer Mutter, verankert in meinen Träumen, in Stein gemeißelt? Was darf ich träumen?", fragt sich Luna. Und wiederholt Jae das Verhalten ihres Vaters, wenn sie mit Mizuki zunächst von einer gemeinsamen Zukunft träumt – und sie dann verlässt? Weil sie selbst als Migrantin der zweiten Generation mit viel strikteren Rollenmodellen konfrontiert ist als Mizuki, deren Eltern bereits nach Woodstock fuhren, an die freie Liebe glaubten und ihre Tochter ermutigten, "auf ein College zu gehen, wo du dich ‘selbst finden’ kannst"? Eigenes, Ererbtes und Erlerntes verknäulen sich im Denken, Fühlen und Handeln von Umma, Jae und Luna. Nur langsam dröseln die drei einige der Fäden auf, die sie an ein vorgestricktes Schicksal zu fesseln scheinen.
Klingt alles sehr ernst und schwer? Hamilton steuert dem entgegen. Kommentiert wird die Selbstsuche der drei Frauen durch den "Geist von Frida Kahlo (GFK)". Im gestischen Zwiegespräch mit der durchgehend anwesenden, aber stummen Figur der auch noch aus dem Jenseits zugewandten Halmoeni verkörpert die tote Malerin weiblichen Schmerz, aber auch Stärke. Unsentimental sieht GFK den Umtrieben des Trios zu. Mal feuert sie Luna an, die an einem selbstgebastelten Altar mit ihren Ahnen in Kontakt treten möchte: "Nur zu, mija." Dann wieder echauffiert sie sich über Jaes Larmoyanz: "Lieben und Hassen in einem Atemzug - Wirf mich vor den Bus, während ich sie verfluche, Diese Bitch." Handfester Humor.
Auf Prousts Spuren
Auch die Zitrusfrüchte sind ein geschickt in den Text eingeflochtenes Motiv: Halmoeni bereitet sich Kosmetik aus Orangenschalen – eine "Arme-Leute-Gesichtsmaske". Legt Umma diese auf, verwandelt sie sich für Jae in ein "seltsames oranges Monster". Mit Mizuki träumt Jae von einem "Hund namens Mandarine", und der Geruch nasser Orangen im abendlichen Gras ist eine der wenigen heimeligen Anmutungen für Umma.
Ähnlich wie Prousts Madeleine lassen Orangen hier die Vergangenheit wieder lebendig werden: "Während du in die Frucht beißt, Die kleinen Stücke, die sich zwischen deine Zähnen quetschen, Der süß-saure Duft, der durch die Nase strömt, wirst du das Gefühl haben. Das Echo einer Person, Etwas, für das es keine Worte gibt." Prousts Protagonist unterzieht sich einiger Mühen, um seine eindrückliche, aber vage Erinnerung auf die rationale, sprachliche Ebene zu heben. Hamiltons Hauptfiguren vermeiden das – Erinnern ist für die drei Frauen mit Schmerz verbunden. Bis zum Schluss. An dem die Autorin ihren Figuren einen Hoffnungsschimmer gönnt: "Für einen Moment erinnern sie sich vielleicht an dasselbe."