Autor*innenpreis
Raphaela Bardutzky – Fischer Fritz
Fritz, Urbayer, war mal Fischer. Jetzt ist er Rentner, neigt zu Stürzen und hat kleinhirninfarktbedingte Artikulationsprobleme. Nicht mal seine After Eights kann er noch auspacken. Franz, sein Sohn, ist Friseur und Städter, beides von Herzen. Jetzt muss er sich zwischen potentiellen Pflegevarianten entscheiden. Die Wahl fällt auf Piotra, Live-in-Pflegekraft aus Polen, die eigentlich von Bali oder wenigstens Vietnam träumt. Jetzt landet sie im bayrischen Hügelland. Ob der Vater mit einer Polin klarkommt? Zwischen Rummykub, Tierdokus und Geranien erzählt Raphaela Bardutzky empathisch und sprachgenau von Figuren wie auf einer Raumstation. Ein Alltag im Weltall zwischen "Guten Tag" mit polnischem Akzent und stur-beseeltem "Griaß God".
Raphaela Bardutzky studierte Dramaturgie, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der LMU München und der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Seit 2012 arbeitet sie als Script-Consultant und Drehbuchlektorin im Art-House-Filmbereich. Gemeinsam mit Theresa Seraphin gründete sie 2016 das Netzwerk der Münchner Theatertexter*innen, eine Diskussionsplattform zur Textproduktion im zeitgenössischen Theater. Ihr Stück WÜSTLING wurde 2017 mit dem Münchner Literaturstipendium ausgezeichnet. Als Theaterdramaturgin verantwortet Raphaela Bardutzky gerne Inszenierungen, in welchen sie Dramaturgie und Textarbeit übernimmt. So zum Beispiel bei der musikalischen Stückentwicklung REQUIEM? am Nationaltheater Mannheim im Sommer 2018 (Regie: Clara Hinterberger). Sie gehörte außerdem zum Autor*innen- und Leitungsteam der Theaterserie MÜNCHNER SCHICHTEN, welche 2019 am Münchner HochX Theater zu sehen war. Raphaela Bardutzky unterrichtet "Schreiben für Film und Theater" am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München.
Autor*innen und Stücke
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Das Stückporträt: Fischer Fritz – Raphaela Bardutzky
von Falk Schreiber
März 2021. Fritz kann nicht mehr so richtig. Er ist alt geworden, er braucht Hilfe, aber Sohn Franz kann nicht helfen, weil Franz schon vor Jahren das väterliche Fischereigewerbe hinter sich gelassen hat und in die Stadt gezogen ist, um Friseur zu werden. Also wird eine Pflegekraft organisiert, Piotra aus Polen. Piotra ist gut ausgebildet und kann leidlich Deutsch, aber sie fühlt sich fremd in der niederbayerischen Einöde, und Fritz fühlt sich fremd mit ihr, aber nachdem er merkt, dass Piotra wunderbare Fischgerichte zubereiten kann, geht es. Ein bisschen.
Raphaela Bardutzky, 2017 für "Wüstling" mit dem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet, legt mit "Fischer Fritz" ein sozialrealistisches Stück vor. Stadt-Land-Gegensatz, Generationenkonflikt, Einsamkeit im Alter, alles da. Aber der Text erschöpft sich nicht in einer reinen Abbildungsästhetik. Stattdessen verdeutlicht die Autorin die Fremdheitserfahrungen ihrer Figuren mit einer so originellen wie einleuchtenden Entscheidung: Fremd sind Fritz, Franz und Piotra einerseits, weil sie entpersonalisiert werden, indem sie ausschließlich abgekürzt als FRI, FRA und P auftreten. Andererseits und vor allem aber in der Sprache. Das mag eine Kleinigkeit sein, die zudem für die Aufführungspraxis der Stücks irrelevant ist, dennoch ist es eine Entscheidung der Autorin: Hier sprechen Kürzel, keine benannten, eigentlichen Personen. Die Figuren sind von sich selbst entfremdet, nur noch Buchstabenkombinationen bleiben von ihnen übrig.
Aus dem Hintergrund
Als "Sprechtheater" hat Bardutzky ihren Text gelabelt, das klingt selbstverständlich, führt aber auf eine Spur, wie diese Autorin Theater versteht: als Kunst, die ihre Verstörungen mit sprachlichen Mitteln erzeugt, in direkter Nachbarschaft zum Musiktheater. Fritz leidet an ataktischer Dysarthrie, das wird als Regieanweisung kurz erwähnt, mit dem expliziten Hinweis, dass die Sprachstörung keinesfalls auf der Bühne nachgestellt werden soll. Dieser Hinweis zeigt sehr gut, wie die Autorin arbeitet, zumal sie ansonsten ganz auf Regieanweisungen verzichtet: Eine Verschiebung wird aus dem Alltag in die Handlung integriert, hat aber keinen direkten Effekt auf das Geschehen, sondern läuft quasi im Hintergrund mit. Inhaltlich bleibt vieles Andeutung, wenig wird ausgespielt: In Umkehrung eines Regiesinnspruchs verlangt Bardutzky "Just Tell – Don’t show".
Nicht nur Fritz, auch die übrigen Figuren sind sprachlich beeinträchtigt: Piotra durch die Sprachbarriere zwischen Polnisch und Deutsch, Franz durch die Unfähigkeit, überhaupt eine gemeinsame Sprache mit seinem Vater zu finden. Schon seit Jahrzehnten schweigen sich die beiden an. Aber gleichzeitig stellt die Sprache auch eine Verbindung her, durch Witz, durch Musikalität. "P: (…) Waren Sie schon einmal im Ausland, Herr Fritz? FRI: Na. P: Nie? FRI Nia. P: Hier? FRI: Na. Ned." "Na/Nia/Ned", das ist ein Spiel mit der Sprache, das etwas sehr Lustvolles hat, und bei dem Bardutzky ihre Konzentration aufs Bajuwarische, auf die Sprache von Gstanzl und Schnaderhüpfl, entgegenkommt. Mehr noch als durch die Erwähnung von Piotras Kochkunst erreicht die Autorin hier ein Einvernehmen zwischen den Figuren (und dem Publikum): Sie stellt an der einen Stelle eine sprachliche Nähe her, an der anderen ein Verständnis für die sprachliche Differenz. Und mit einem Schlag sind die Figuren diskursiv auf derselben Ebene.
Allerdings stellt Bardutzky die Schauspieler*innen auch vor recht anspruchsvolle Aufgaben. Ihr Stück ist bühnenpraktisch nicht ohne. Nicht nur, dass der Einstieg eine gnadenlose Überforderung darstellt mit endlos wiederholten "Fischer Fritz fischt frische Fische. Frische Fische fischt Fischer Fritz“-Zungenbrechern, nach einer Weile kommen auch noch Variationen hinzu: "Der freundliche Fischer Fritz fischt famose, vorzügliche, formidable, phänomenale, fantastische, vollkommene, frische, frische, frische Fische!" Und schließlich auch noch Polnisch: "Jeszcze deszcze chłoszczą leszcze, jeszcze leszcze pieszczą kleszcze." Kann man machen. Muss man aber erstmal schaffen. Wenn man es schafft, dann macht das allerdings auch ziemlichen Spaß. Zungenbrecher sind ein Spiel mit den Fallstricken der Sprache, und wie kreativ, mit wieviel Freude am Stolpern, wie musikalisch Bardutzky dieses Spiel hier spielt, ist faszinierend – zumal das Spiel kein Selbstzweck ist, sondern inhaltlich gedeckt bleibt.
Keine Tricks
Manchmal drohen Klischees, beim Zusammenkommen von Knochigem und Zartem etwa, oder bei der unbeholfene Annäherung von Franz und Piotra gegen Ende. Aber Bardutzky stellt die Klischees nicht aus, sie kennt die beschriebene Welt jenseits von urbaner Coolness gut genug, dass sie sie glaubhaft beschreiben kann. Und sie weiß auch, dass diese Welt der abgehängten Landstriche, der verknöcherten Alten und der entfremdeten Jungen längst besetzt ist von einer simplifizierenden Fernsehfilm-Dramaturgie, und deswegen flicht sie Bezüge nach draußen ein, hier einen polnischen Popsong, dort einen phonologischen Fachterminus, schließlich eine Kochanweisung für Karpfen in grauer Soße. Wie geschickt die Autorin den Kitsch so aushebelt, das ist literarisch gekonnt.
Die Reise von Piotra zu Fritz etwa, ab Passau über Landstraßen, durch "lärmgeplagte Straßendörfer des unterbayerischen Hügellandes" wäre für sich genommen wenig originell. Weil man allerdings den Blick der Pflegerin übernimmt, wird dieser warm, neugierig. "Die Kuhweiden." "Sie haben ganz spitze Kirchtürme." "Es stinkt nach Gülle." "Aber sie mögen Geranien." "Schon ganz schön hier." Da fährt ein Mensch durch eine unspektakuläre Landschaft, er ist unsicher, erwartungsfroh, er bewegt sich zwischen den Sprachen, und nach und nach manifestiert sich eine Mischung aus Vorfreude, Angst und Selbstsuggestion. Bardutzky braucht hier keine szenischen Taschenspielertricks, keine überbordenden Regieanweisungen, sie braucht ausschließlich Sprache, die sie wie ein Musikinstrument einsetzt. Als "Sprechtheater“. "Głowa do góry."