Autor*innenpreis
Svenja Viola Bungarten - Maria Magda
Maria, Magda und Hildie: drei junge Frauen in einem katholischen Internat für schwer erziehbare Mädchen, irgendwo in Deutschland, tief im Wald. Ihre Mitbewohnerinnen – das lernt Maria, die Neue, schnell – glauben felsenfest an Übersinnliches an diesem Ort, der feinsten Stoff für Albträume liefert. Hexenkinder, Nonnen im 13er-Pack und Gott höchstpersönlich spuken voller Eigendynamik durch die Gehirne der Mädchen. "Frage nach dem, was nicht erzählt wurde!" wispert es – und genau das tun sie, selbstbewusst, beharrlich, feministisch: Wie kann man der Geschichte der Mächtigen widerstehen? War die unbefleckte Empfängnis eine Vergewaltigung? Und warum um Gottes Willen ist seit zwei Monaten Mirjam verschwunden?
Svenja Viola Bungarten, 1992 in Koblenz geboren, studierte Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. 2016 erhielt sie für ihr Libretto POST NUCLEAR LOVE den "Berliner Opernpreis". Sie war im Rahmen des Bachmannpreises zum 22. Klagenfurter Literaturkurs 2018 eingeladen. Ihr Stück TOT SIND WIR NICHT wurde im November 2018 am Theater Münster uraufgeführt und war zum Festival Neues Wiener Volkstheater 2019 eingeladen. Am Schauspielhaus Wien war sie für das Hans-Gratzer-Stipendium 2019 nominiert. Ihr Text BONN IST EINE STADT IM MEER wurde im Rahmen der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin in einem Werkstatt-Format gezeigt und kam im September im Theater Münster zur Uraufführung. Seit 2019 ist sie Mitglied des Ministeriums für Mitgefühl. Gemeinsam mit Gelareh Shahpar hat sie im selben Jahr das Kollektiv DIE ANTAGONIST*INNEN gegründet. Für 2020 war die Eröffnung der Bayrischen Theatertage mit einem Kurzstück vorgesehen. In der Spielzeit 2020/21 ist sie Hausautorin am Theater Koblenz. Im Juni 2021 wird ihr neues Stück MARIA MAGDA am Theater Münster unter der Regie von Theresa Thomasberger zur Uraufführung kommen.
Autor*innen und Stücke
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Das Stückporträt: MARIA MAGDA – Svenja Viola Bungarten
von Stephanie Drees
März 2021. Der erste Besuch in der Schulbücherei – und direkt eine Epiphanie! Die junge Maria ist die Neue in einem Klosterinternat in Mitteldeutschland. Alles ist befremdlich und die Heiligenscheine um sie herum leuchten heller als die Funzel im Mädchenzimmer. Die Oberschwester versucht, Marias Zweifel mit großzügiger Kakao-Versorgung zu betäuben. In der Bibliothek, dem vermeintlich sicheren Ort, öffnet sie ein Buch. Es erscheint ihr ein Wesen, das mit viel Verve einen Vortrag hält: MA DONNA HA.
Wer oder was diese Gestalt ist, die da aus den leeren Seiten spricht - noch weiß man es nicht. Klar ist: Sie hat viel zu sagen. "Was ist die Jungfrau anderes als eine Lücke? Maria. Frage dich; warum opfern Frauen in Geschichten ihre Körper und Männer nicht. Frage dich, warum werden Frauen die Brüste abgeschnitten und Männern nicht die Schwänze." Ein Vortrag über die (Jung)Frau in den christlichen Erzählungen. MA DONNA HA geht es um das große Ganze: Reproduktionsmythen, die Erbsünde, um biblische Erzählungen von Weiblichkeit, Mutterschaft, Sexualität. Ein Manifest.
Jungfrau Maria Mutter Gottes und Maria Magdalena, die Gottes-Geliebte. Die Hure und die Heilige – und wie sich die beiden spiegeln, wie sie Anfang und Ende einer riesigen Erzählung sind. Schließlich schwenkt das intellektuell geschulte, doch physisch im wahrsten Sinne schwer greifbare Wesen noch zu den Ablegern marxistischer Theorie. Kapitalmaximierung mithilfe der Verfügung über weibliche Sexualität. Wer die Geschichte(n) hat, der hat die Macht.
Horror im Mädcheninternat
Das klingt theorielastig. Dabei hat Maria grade ganz andere Sorgen: Vor nicht allzu langer Zeit ist eine Mitschülerin, Mirjam, verschwunden. In ihrem Bett liegt nun die schlafbedürftige Maria. Sie glaubt zunächst, die Erscheinung in der Bibliothek sei die Vermisste gewesen, doch: Wenig ist an diesem Ort, wie es scheint.
Zu allem Überdruss fordert die feministische Guerilla-Erscheinung auch noch eine Power-Point-Präsentation zum Gesagten (mit vielen schönen Bildern), und, ganz ehrlich: Würde man da nicht leichte Überforderung spüren? Es bahnt sich an: Der Horror im Mädcheninternat. Der Horror, das sind die anderen – und man selbst.
"Maria Magda", das dritte Theaterstück der Dramatikerin Svenja Viola Bungarten, ist in seiner Verschachtelung aus Splatter-Komödie und Mythen-Mashup auch als gegenwärtiger Kommentar zu lesen: Es streift Themen wie rigide Abtreibungs-Moral und -Gesetzgebung ebenso wie das Victim blaming bei sexualisierter Gewalt oder die Verherrlichung der Mutterrolle. Toxische Erscheinungsformen von Frauenfreundschaften werden ausgeleuchtet, die Sichtweise von Frauen auf ihren und andere weibliche Körper. Motive, sie sich in unsere Alltagserzählungen einschreiben. Machtverhältnisse werden in utopischer Weise mehrfach umgekehrt. Alles geschieht mit einem rasenden Witz, der sich manchmal fast am eigenen Sarkasmus verschluckt. Fast.
Tatsächlich haben die drei jugendlichen Heldinnen Maria, Magda und Hildie in diesem wilden Theatertext kaum Angst und wenig Skrupel. Es sind ziemlich coole Amazonen des Nonnenbunkers. Von dem sagt die Legende, dass ihn einst ein Orden aus 13 gefallenen Frauen gegründet hat. Bußschwestern Maria Magdalenas, Kinder von Hexen. Fortan machten sie als eine Art SoKo der Inquisition in den eigenen, kirchlichen Reihen Jagd auf Hexer. Oder waren es Hexen, die sich nur als Nonnen ausgaben? Und warum gilt die jungfräuliche Maria als "Schläferin", die sich zwar nicht an ihre Träume erinnern kann, von der wir aber wissen, dass ihr des Nachts ein Trias-Wesen erscheint, bestehend aus den Brüsten, den Augen und dem Kopf dreier weiblicher Heiligenfiguren?
Vulgäre Zärtlichkeit
Svenja Viola Bungarten hat an der UDK Berlin Szenisches Schreiben studiert, wurde 2016 für ihr Libretto POST NUCLEAR LOVE mit dem "Berliner Opernpreis“ ausgezeichnet und ist in dieser Spielzeit Hausautorin am Theater Koblenz. "Maria Magda" wird demnächst am Theater Münster uraufgeführt. Es ist einer dieser Texte, deren Dialoge schnell hin- und hergeworfen werden, bei denen sich schon beim Lesen eine Geschwindigkeit einstellt, die vor allem von der Gegenwärtigkeit der Sprache herrührt. Dialoge mit Klischee-Einwürfen wie "OMG" in der dritten Ironieschleife stehen neben harten und gleichsam poetischen Sprechakten voller Bildlichkeit. Eine vulgäre Zärtlichkeit.
So schon der Beginn: Die Figur MA DONNA HA führt uns in die Geschichte ein. Sie macht es mit aller nötigen Härte: "Das muss erstmal verdaut werden. Dass kein Held kommt. Und keiner gebraucht ist. Denn der Held ist ein Gefäß, eine Flasche. Ein Idiot mit einem Schwert. Die Tasche ist der Schlüssel, und die Feuer sind Vergangenheit und Zukunft zugleich." Was das genau für ein Wesen ist, dass da spricht, die Richtung des Blickes vorgibt, die Aufmerksamkeit bündelt, ist - zumindest am Anfang - nicht klar. Doch seine transzendente Macht wird schnell deutlich. Es gibt im Stücktext ein eigenes Symbol für die Figur MA DONNA HA: )O(.
Das "O" aus diesem Zeichen wird im Folgenden immer wieder einzelnen Szenen vorangestellt, herausgelöst aus seinen umgedrehten Klammern. Die Trinität ist das große verbindende Motiv des Stücks, drei Kapitel ("Im Namen des Vaters", "Und des Sohnes", "Und des Heiligen Geistes") teilen es, drei weibliche Protagonistinnen kämpfen – auch körperlich – um Autonomie. Das "O" markiert als Teil einer alternativen Dreifaltigkeit Textpassagen mit einer allwissenden Erzählperspektive. Klassische Regieanweisungen gibt es kaum und so wird das zu einem gelungenen, selbstreferentiellen Witz: die göttliche Erzählerin.
Souverän auch mit gebrochenem Genick
Dieses "O" – klar, das verweist auf einige Frauenschicksale in der Kulturgeschichte, allen voran Kleists "Marquise von O…", deren eigene Schwangerschaft ihr ein Rätsel ist. Oder auch "Die Geschichte der O", das berühmte Sadomasochismus-Filmwerk über die Grenzen der (sexuellen) Selbstbestimmung. Bungarten mischt sehr sicher Referenzen aus Popkultur, christlicher Glaubenslehre und europäischer Mythologie. Es ist ein großes Spiel der Verweise, ohne jeden Skrupel vor ketzerischer Provokation.
Während ihre Mitstreiterinnen versuchen, die wahre Geschichte des Klosters aufzudecken, kämpft Hildie gegen den Sprössling eines männlichen Gottes, der ihr so ziemlich alles bricht, was man brechen kann (außer dem Herzen). In bester Tarantino-Manier steht sie immer wieder auf, selbst wenn zwischendurch das Genick Schaden nimmt. So greift der Gott, der seinen Sohn zum Kampfe vorschickt, schließlich zu drastischeren Methoden und versucht, zumindest eine der jungen Frauen per Fern-Vergewaltigung zu schwängern. Unter einem phallischen Lichtstrahl. Doch "Maria Magda" zeigt, dass es nicht nur das eine Ende geben kann.
Erzählungen in die Welt zu bringen, diese dort zu etablieren, bedeutet Macht. In "Maria Magda" schreiben die Protagonistinnen ihre Geschichte mehrfach neu. Sechs Enden stehen schließlich zur Auswahl. Und vielleicht sind sie auch ein Anfang.