Außer Atem

Ein Gespräch mit Juliane Kann

April 2021. Was wäre, wenn der Kolonialismus so verlaufen wäre, dass nicht Europa, sondern Afrika die Welt dominiert hätte? Konstantin Küspert dreht in seinem Stück sklaven leben den Spieß um: Jetzt sind die Schwarzen die Kolonialherren und Ausbeuter. Juliane Kann hat das Stück im Oktober 2020 am Staatstheater Meiningen inszeniert.

Juliane Kann, vergleicht man die Uraufführung von "sklaven leben", die Jan-Christoph Gockel im Januar 2019 in Frankfurt/Main in Szene gesetzt hat, mit Ihrer Inszenierung in Meiningen, ist man verwirrt. Es sind zwei völlig unterschiedliche Texte, die da auf die Bühne gebracht wurden. Wie kommt das?

Juliane Kann: Tatsächlich gibt es zwei Fassungen des Stücks. Einmal die erste, vom Suhrkamp-Verlag veröffentlichte, die ich inszeniert habe. Und dann jene der Frankfurter Uraufführung, die entstanden ist aus der Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur, dem Frankfurter Ensemble und dem Autor, der zur dieser Zeit Dramaturg am Haus war und die Produktion begleitet hat. Viele Impulse des Ensembles sind in die Fassung und Inszenierung eingeflossen. Die Frankfurter Fassung wurde dann wohl auch nachträglich von Suhrkamp autorisiert. Denn theoretisch hätte ich die Möglichkeit gehabt, mich für eine der beiden zu entscheiden. Aber die Frankfurter Fassung erschien mir zu inszenierungslastig, ich wäre von ihren Bildern nicht so richtig weggekommen. Zumal mit Komi Togbonou eine Person of Colour besetzt war. Es wäre merkwürdig gewesen, diese Fassung dann auf ein komplett weißes Ensemble zu adaptieren. Eine Szene habe ich dann aber doch übernommen: den Text über Privilegien, weil er auf elegante Weise mit dem Schlüsselbegriff "Privileg" spielt, was für mich eine inhaltliche Ergänzung zur Verlagsfassung war.

Das klingt, als sei "sklaven leben" nicht ganz einfach zu inszenieren?

Juliane Kann: Wenn ich ehrlich bin: Es war ein langer Prozess bis zur Premiere. Vor allem machte mir sein fast durchweg ironisch bis sarkastischer Ton Probleme. Ich war mir nicht sicher, ob dieser Ton wegen unseres geübten Umgangs damit auch als Kritik verstanden werden kann. Ich verstehe, warum Konstantin ihn gewählt hat: Es ist der Ton unserer Generation und des theatralen Echoraums, der Bubble, in der wir agieren. Ich frage mich aber: Ist die Annäherung an diesen Themenkomplex nur mit einer ironischen Distanz möglich? Mir fehlen die Momente gefühlten Denkens. Die Szenenfolge produziert eine gewisse Atemlosigkeit und lässt wenig Raum zur Reflexion. Der Text setzt beim Publikum viel Wissen voraus, was ich einerseits toll finde. Es besteht aber auch die Gefahr der Ermüdung. Meine Herausforderung war: Wie schaffe ich es, das Publikum bei der Stange zu halten?

Küspert packt die Themen Rassismus, Ausbeutung, Globalisierung, weiße Privilegien in eine ironische Collage aus kurzen Szenen und längeren Monologen. In beiden Inszenierungen hat man auf ein revueartiges Format gesetzt. In Ihrer Inszenierung wird das Publikum zurückgebeamt in die 1980er-Jahre: in die Spielshows des West-Fernsehens wie "Dalli Dalli" oder "Jeopardy". Die vier Darsteller*innen sind einheitlich gekleidet in weiße Showmaster-Anzüge und pflegen oft ein flottes Parlando ...

Juliane Kann: Für mich stehen diese West-Spielshows für eine vermeintlich heile, völlig unreflektierte Parallelwelt neben der politischen Wirklichkeit – ein passender Raum der Begegnung, um das Thema Herr und Knecht auszuspielen: Ich habe es in die Hierarchie übertragen, die im Moderator*innen-Quartett, einem heterogenen Haufen, herrscht: Der eine gibt den alten weißen Mann (Matthias Herold), ein alter Hase im Showbusiness, der sich immer nach vorne drängelt. Dann gibt es die Nachwuchsmoderatorin, die sich noch im Assistentinnenmodus befindet (Katharina Walther) und Requisiten anreichen muss. Dann Björn Boresch, der schon auf der zweiten Stufe des Moderatorendaseins angekommen ist, aber erst zum Zuge kommen wird, wenn der weiße, alte Hase nicht mehr kann. Und dann gibt’s noch die Frau, die letztlich die Strippen in der Hand hält (Ulrike Walther).

Küspert hat in sein Stück ja sehr, sehr viele Aspekte, Themen und Debatten hineingepackt. Zu viele?

Juliane Kann: Es ist ja auch ein unglaublich komplexes Thema. Man weiß ja gar nicht, wie man das eine ohne das andere betrachten soll. Für mich ist "sklaven leben" in seiner Komplexität und seinen vielen Querverweisen eigentlich auch eher ein Lesetext als ein Spieltext, weil es unglaublich viele Metaebenen hat, die man sich beim Lesen besser erschließen kann. In der schnell gespielten Szenenfolge auf der Bühne fällt da vieles hintenüber. Es fehlt eben die Zeit zum Nachdenken, Reflektieren. Allein schon die Figurennamen! Etwa Ronja. Sie heißt nicht einfach Ronja, sondern verweist mit ihrem Namen auf Astrid Lindgrens rebellische Figur. Will sagen: Wo sind denn unsere Rebellen? Was ist aus denen geworden, die früher die Bücher gelesen haben? Sie reproduzieren weiterhin Rassismen und bestätigen eine Struktur, die abgeschafft gehört. Gleichzeitig verweist die Figur Ronja auf das Gegenteil des Lindgren-Romans: auf die ganze Kinder-Literatur, die immer noch ein gesellschaftsnormatives Bild von Hautfarbe und Geschlecht vermittelt. Ich finde es ja toll, was Küspert den Zuschauer*innen alles zutraut. Aber ich hab das Bedürfnis, das Textbuch zu verteilen, damit man sich die ganzen Feinheiten erlesen kann, die ich in einer Inszenierung unmöglich alle vermitteln kann.

europa flieht nach europa 022 5bba21eec2abe7.59616780Die Stirn voller Blut: Katharina Walther in "sklaven leben" am Meininger Staatstheater © Marie Liebig

Die Komplexität hat Gockel in seiner Frankfurter Inszenierung ja ein bisschen unter den Tisch fallen lassen. Die Umkehrung der Verhältnisse wird in prägnante Bilder übersetzt und vor allem durch die Schauspielerin Komi Togbonouvollzogen. Ihre Inszenierung geht da viel subtiler und spielerischer vor.

Juliane Kann: Eigentlich ist das Stück für ein weißes Ensemble gedacht, weshalb ich mit dieser Umkehrung so meine Probleme hatte. Ist nicht diese Umkehrung auch schon ein rassistisch gedachtes Moment? Ich denke, in der Inszenierung von Jan-Christoph war das etwas anderes. Er ist mit Komi Togbonou befreundet, sie haben sich entschlossen, gemeinsam nach Frankfurt zu kommen, um die Geschichte zu erzählen. Komi hatte Einfluss auf das, was und wie es erzählt wird. In meinem Fall wäre das anders gewesen: Ich hätte für die Inszenierung eine Person of Colour engagieren müssen, die ich nicht kenne, und mich damit sehr unwohl gefühlt.
Sie wäre so etwas wie ein Maskottchen gewesen, das den Weißen ihr Weißsein vorführen muss. Aber warum sollen uns Nichtweiße unseren Rassismus erklären? Warum erklären wir uns den nicht selber?

Aber Sie haben dann doch ein Mittel gefunden, nichtweiße Personen nicht sichtbar, aber doch irgendwie anwesend, zu Wort kommen zu lassen? Es gibt da diese Videos, die ständig für Irritationen sorgen, und kurze musikalische Zitate, z. B. hört man Missy Elliott immer wieder "Quiet" hineinrufen – immer dann, wenn sich weiße Menschen auf der Bühne furchtbar leidtun.

Juliane Kann: Ja, es ging mir um Augenblicke der Irritation, aber auch um Kritik an unserem Theatersystem. Auch das Meininger Ensemble ist kein diverses. Und dann hast du es mit so einem Text zu tun. Das Problem muss man doch thematisieren, zeigen, wer permanent auf der Bühne fehlt. Ich habe dann Videos produziert, in denen ich kontextualisierte, was mir fehlte, um zu zeigen: Ah, da ist noch jemand im Raum, den wir immer versuchen auszublenden.

Das Interview führte Verena Großkreutz.

Zurück zur Übersicht

 

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren