Es geht um Zugehörigkeit

Ein Gespräch mit Dennis Duszczak

April 2021. Ein Balljunge will ganz nach oben, Tennisstar werden und in die Oberschicht aufsteigen. Dennis Duszczak hat Anne Leppers Stück La Chemise Lacoste am Schauspiel Dortmund inszeniert. Ein Gespräch über Tennis in der Fußballstadt, Diversität und soziale Unterschiede.

Wie kam "La Chemise Lacoste" auf den Spielplan am Theater Dortmund?

Dennis Duszczak: Es war eine gemeinsame Suche mit der Dramaturgin Hannah Saar nach Stoffen, die ich erzählen kann. Es gab Vorschläge von beiden Seiten, und letztendlich haben wir uns für La Chemise Lacoste entschieden, weil ich diesem Text meine Arbeitsweise am besten zuordnen konnte. So wie ich Anne Leppers Text gelesen habe, ist er sehr collagenhaft und zitathaft angelegt. Einige Szenen haben direkt Bilder aufgemacht, und ich konnte mir vorstellen, was man da verhandelt, bei manchen musste man etwas tiefer gehen, und wieder andere haben keinerlei Zugang eröffnet, so dass wir sie dann gestrichen haben.

Tennis steht in Lepper Stück als Chiffre. Aber ergibt Tennis in der Fußball-Stadt Dortmund überhaupt einen Sinn?

Dennis Duszczak: Nun ja, die eigentliche Frage ist doch: Wo ist bei Anne Lepper das Tennis überhaupt? Das wird in dem Stück ja auch verhandelt. Tennis und Fußball bieten die Möglichkeit für den gesellschaftlichen Aufstieg. Beides ist mit Regelhaftigkeit verbunden – wie übrigens auch das Theater –, und es gilt, sich mit seinem Talent da zu beweisen und durchzusetzen und im besten Fall diese Regelhaftigkeit von innen heraus zu verändern. Umgekehrt geht es im Stück um eine Oberschicht, die ihre mit Werten verbundene Machtposition nicht mit denen teilt, die sich hocharbeiten und zu ihnen gehören wollen.

ChemiseLacoste Hupfeld 1304Sarah Yawa Quarshie und Alexander Darkow in "La Chemise Lacoste" © Birgit Hupfeld

Die Figur "Felix" versucht, den American Dream zu verwirklichen und von der Unterschicht in die Oberschicht zu gelangen – eine Dortmunder Story?

Dennis Duszczak: Man muss in Dortmund genauer hinsehen, um die Oberschicht auszumachen. Die Stadt hat eine große Armutsrate, ein Drittel der Bevölkerung ist arbeitslos, und der Reichtum sammelt sich auf einem Punkt, dem Fußball. Allein auf meinem Weg zur Arbeit gibt es etliche, auch junge Leute, die nach Geld für eine Unterkunft fragen, aus welchen Gründen auch immer. Solche "Felix"-Figuren gibt es aber nicht nur in Dortmund, sondern sie sind überall dort, wo uns dieser American Dream "From Nothing to Something" verkauft wird. Die Geschichte um "Felix" verdeutlicht die Herausforderung, die eigenen Träume gegen die Widerstände und die Regeln durchzusetzen und dabei womöglich auch zu scheitern.

In der Dortmunder Inszenierung fällt die Formation des Chores besonders auf: Statt vieler realer Personen stehen dort Puppen.

Dennis Duszczak: Das war Corona geschuldet. Ein realer Chor war aufgrund der Sicherheitsabstände nicht möglich. Wir haben das daher auf eine Schauspielerin hin konzipiert, die den Mädchenchor, der durch Puppen dargestellt wird, real repräsentiert. Für uns war der Chor nicht allein das Echo der Figuren, sondern mehr. Aus der Masse des Chores löst sich im zweiten Teil des Stückes die Einzelne und wird zur Protagonistin des Chores, zu "Kay". Da befreit sich auch verborgene Energie aus der Unterordnung. "Kay" schafft es, aus dem System des Chores auszubrechen und damit einen höheren Status zu erlangen, also genau das, was die anderen Figuren, die "Gäste", ersehnen. Dieser Aufstieg wird aber infrage gestellt und mit Widerstand konfrontiert. Die Umsetzung des Plans, der Energie, bewirkt einen Rollentausch, so dass "Kay", zunächst nur Begleitung des Mannes, letztendlich die Position des Mannes einnimmt.

Inwiefern hat sich die Pandemiezeit auf die Konzeption niedergeschlagen?

Dennis Duszczak: Es stellte sich die Frage nach der Probenform in einem Raum, der an sich schon eine Regelhaftigkeit besitzt. Durch die Hygienebestimmungen kam nun noch eine weitere Regelhaftigkeit von außen hinzu. Welche Formen finden wir für nicht-dialogische, situative Szenen? Wie gehe ich damit um, dass Abstände nicht eingehalten werden: Unterbreche ich als Regisseur oder erarbeiten wir das abschließend? Wir mussten erst herausfinden, wie wir damit umgehen. Man war plötzlich mit Regeln konfrontiert, halbstündiges Lüften, Abstand einhalten, was einen ganz anderen Flow, eine ganz andere Energie mit sich brachte. Es war, als hätte man bei den Proben eine riesige Hauptrolle, die aber nicht mitspielt und doch anwesend ist.

ChemiseLacoste Hupfeld 0665 KopieSarah Yawa Quarshie, Lola Fuchs und Anton Andreew © Birgit Hupfeld

Das Theater Dortmund ist unter der Intendanz von Julia Wissert diverser geworden. Da wirkt Leppers Stück wie eine Parabel auf die Einwanderungsgesellschaft, in der die Anderen, die "mit XY-Hintergrund", stets ohne Privilegien sind. Spielte das für die Inszenierung eine Rolle?

Dennis Duszczak: Ich habe nicht den Eindruck, dass der sogenannte Migrationshintergrund als einziger Faktor den Erfolg erschwert. Soziale Herkunft, Klasse, Bildung, Status spielen ebenfalls eine Rolle. Was bedeutet es, wenn ein Arbeiterkind mit Einwanderungsgeschichte wie ich ans Theater geht, wo sich die "intellektuelle Schicht" befindet, um dort etwas in deutscher Sprache zu thematisieren? Für uns stellte sich im Stück daher weniger die Frage nach Migration, eher nach Klasse. Es geht um Zugehörigkeit: Wo komme ich her? Ab wann gehöre ich dazu? Auch am Theater sind nicht alle "gleich", sondern es gibt unter den Mitwirkenden Hierarchien, die jedoch nicht gleich lesbar sind.

Tatsächlich fand ich es sehr spannend, als Julia Wissert die Intendanz übernahm. Mein erster Gedanke war, wie viele Geschichten da erzählt werden wollen. Bei so vielen verschiedenen Backstorys kommen vielfältige Perspektiven zusammen und das kann sehr produktiv sein! Dennoch sind es deutschlandweit immer noch nur eine Handvoll Theater, die die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden.

Die Dortmunder Inszenierung "La Chemise Lacoste" ist beim Heidelberger Stückemarkt in der Kategorie Nachspielpreis nominiert. Was verbindet sich damit für Sie?

Dennis Duszczak: Ich glaube, für das Haus und die neue Intendanz ist die Einladung zu einem Festival sicher eine schöne Bestätigung über den eingeschlagenen Weg. Für mich persönlich ist es eine ganz große Freude. Autor*innen arbeiten bei Auftragsarbeiten mit Abgabefristen unter einem extremen Druck. Und fragen sich: Produziere ich gerade oder mache ich Kunst? Da geht es um ein Produkt, das in sechs Wochen erarbeitet wird, um dann mehrmals verkauft zu werden, und die Autor*innen haben die Aufgabe, etwas fristgerecht abzuschließen, damit es produziert werden kann. Dadurch bleibt keine Zeit, um das Stück, um die eigene Arbeit, nochmals zu reflektieren und mit Distanz nochmals einen neuen Blick darauf zu werfen. Von daher ist der Nachspielpreis sinnvoll, auch weil eine oder ein Autor*in dadurch für eine Arbeit mehrfach ausgezeichnet werden kann. Es zeigt, dass der Stoff verschiedene Lesbarkeiten, verschiedene Sichtweisen hat.

Das Interview führte Karin Yeşilada.

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