"Ich möchte eine Eule kneifen"

von Falk Schreiber

Heidelberg / online, 2. Mai 2021. "Geros Dienos" ist "eine Oper für zehn Kassiererinnen, Supermarktgeräusche und Klavier". Aber so ein Supermarkt macht heutzutage ja gar keine Geräusche mehr. Ein Rauschen der Klimaanlage, ein Knistern, ein Piepsen der Scanner über den Barcodes. Nicht-Geräusche, Morsezeichen aus der entfremdeten Arbeitswelt, in der kein Ton mehr auf die eigentlichen Arbeitsschritte verweist. Beim Heidelberger Stückemarkt kann das Gastspiel vom litauischen Musiktheaterprojekt Operomanija nicht live gezeigt werden, gestreamt wird eine sechs Jahre alte Aufzeichnung, auch hier also: eine Verschiebung aus dem echten Arbeitsabbild in eine Konserve. Entfremdete Tätigkeit.

Franz Wittenbrink hat ab den Neunzigerjahren das Genre des Liederabends mit Stücken aus der Perspektive der Werktätigen aufgefrischt: "Sekretärinnen" (1995, Deutsches Schauspielhaus Hamburg), "Lust" (2006, St. Pauli Theater Hamburg), "Nacht-Tankstelle" (2008, St. Pauli Theater Hamburg). Schmissige Revuen, in denen die Schreibmaschine der Bürokraft zum Rhythmusgeber und der Feudel der Putzhilfe zum Tanzutensil mutieren konnten, kein dummes Theater, aber ein Theater, das eine Arbeiter:innenschaft behauptete, die eins war mit ihrer Arbeit, schon damals: harmloses Theater.

Kein Sinn zu finden

Aber Vaiva Grainytė (Libretto), Lina Lapelytė (Musik) und Rugilė Bardzdžiukaitė (Regie und Bühne) sind nicht harmlos. Die Geschichten, die sie mit "Geros Dienos" erzählen, sind Geschichten, in denen die Arbeit als Sinnstifterin ausgedient hat: die Geschichte von der Kunstpädagogin, die keinen Job findet und an der Kasse landet, wo sie nicht weiß, was sie mit ihren Kolleginnen reden soll. Oder die von der Kassiererin, die sich in Durchhalteparolen flüchtet: "Jeder Tag ist ein Geschenk!" Oder die von der älteren Kollegin, die sich auf den nächsten Monat freut, weil sie da ihren Sohn in England besuchen wird. Der allerdings arbeiten muss und sie nicht einmal vom Flughafen abholen kann.

HaveAGoodDay PHOTO9 RugileBarzdziukaiteGastspiel über die Entfremdung © Rugilė Bardzdžiukaitė

Gespielt werden diese kurzen Geschichten in minimalistischen Formen: fallende Kadenzen im Gesang der schlafenden Supermarktware, ein zaghafter Kanon bei heruntergeleierten Kassenfloskeln, "Guten Tag / Danke / Schönen Tag noch", immer wieder, nine to five. Das klingt berückend schön, aber szenisch passiert praktisch gar nichts: Die zehn Sängerinnen sitzen aufgereiht vor dem Publikum, singen und scannen Codes. An der Seite gibt ein Securitymitarbeiter (Kęstutis Pavalkis) den Takt am Piano vor. Das ist alles. Klar, es passiert ja nichts, "Guten Tag / Danke / Schönen Tag noch", von früh bis spät.

Sehnsucht ohne Hoffnung

Wohl dem, der sich in dieser Eintönigkeit ein wenig Poesie bewahren kann. "Ich möchte in einer Baumhöhle sitzen", heißt es gleich zweimal, "Weit weg von allem / Und eine Eule kneifen", das ist ein schönes Bild, aber es ist das Bild einer Sehnsucht, in die schon eingeschrieben ist, dass sie keine Erfüllung finden wird. Die meisten Mitarbeiterinnen haben diese Sehnsucht nicht mehr, die meisten haben sich damit abgefunden, dass sie auf ewig an der Kasse sitzen werden. Das Dunkle, das "Geros Dienos" prägt, ist das Dunkle, das entsteht, wenn man keine Hoffnung mehr spürt, nur noch Müdigkeit.

Über 45 Minuten schleppt sich dieses kleine, kluge, zwischen Sprechkonzert und Installation schillernde Stück, 45 Minuten, die gleichzeitig atemberaubend schön und lähmend langweilig sind. Man weiß, dass man nichts mehr zu wollen hat. Aber vielleicht hat man eine Ahnung, was sich für eine künstlerische Kraft in dieser Perspektivlosigkeit versteckt. Der Supermarkt hat geschlossen, "ruhig schläft die Molke", nur ein klein wenig ist noch zu tun: "Ich verriegle die Tür, schalte den Alarm ein", dokumentiert das Libretto die letzten Arbeitsschritte. Selten fühlte man sich so leer, so traurig.

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Have A Good Day! / Geros Dienos
von Vaiva Grainytė, Lina Lapelytė und Rugilė Bardzdžiukaitė
Regie und Bühne: Rugilė Barzdžiukaitė, Libretto: Vaiva Grainytė, Komposition und musikalische Leitung: Lina Lapelytė, Lichtdesign: Eugenijus Sabaliauskas, Kostüme: Daiva Samajauskaitė, Ton: Arūnas Zujus.
Mit: Indrė Anankaitė-Kalašnikovienė, Liucina Blaževič, Vida Valuckienė, Veronika Čičinskaitė-Golovanova, Lina Valionienė, Rima Šovienė, Milda Zapolskaitė, Rita Račiūnienė, Svetlana Bagdonaitė, Kristina Svolkinaitė, Security: Kęstutis Pavalkis (Klavier).
Aufzeichnung vom 2. April 2015
Dauer: 45 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

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