Die Maschine hat Schluckauf

Andrea Heinz

4. Mai 2021. Ein Zimmer für sich allein verlangte Virginia Woolf im gleichnamigen Essay, der zur feministischen Grundlektüre gehört. Erschienen ist der Text 1929, beinahe hundert Jahre später, im Jahr 2021 und Jahr 2 der Pandemie, bekommen Text und Botschaft noch mal eine ganz andere Wucht. Nicht nur, weil sich für Frauen, die nicht nur Objekt von Kulturproduktion sein, sondern selbst Kultur produzieren wollen, noch immer nicht so wahnsinnig viel geändert hat. Sondern auch, weil die Frage nach dem Zimmer für sich alleine in Zeiten einer weltumspannenden Virus-Pandemie im Ernstfall eine existenzielle ist.

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Swoosh Lieus "A Room of Our Own", das in der Schiene "Netzmarkt" beim Heidelberger Stückemarktes zu sehen war. Für ihre Überschreibung des Textes haben die Mitglieder des Kollektivs, Johanna Castell, Katharina Pelosi und Rosa Wernecke, nicht nur auf Woolf, sondern auch auf Theoretiker*innen und Autor*innen wie Donna Haraway, Ursula K. Le Guin oder Paul B. Preciado zurückgegriffen. Sie übertragen Woolfs Text, der sich nicht zuletzt mit den (Un-)Möglichkeiten weiblichen Schreibens auseinandersetzt, auf das Theater. Wo sind hier die Frauen? Ja, wo sind sie denn? Es beginnt in einem leeren, dunklen Theaterraum, den man als Zuschauerin vor sich am Bildschirm hat. Natürlich weiß man noch nicht, dass es ein Theaterraum ist, ist ja dunkel, aber man ahnt es schon mit dem ersten Schweinwerferkreis auf den Bühnenbrettern. Eine Stimme spricht (auch ohne Körper wunderbar wie immer: Birte Schnöink), es ist Judith, "Dissidentin des Systems, the virus of the new world disorder, Saboteurin des big daddy mainframe, ein Avatar für mich allein" – da geht’s lang an diesem Abend.

a room of our own brilly 1Stadt als Beute © Swoosh Lieu

Judith beklagt die Abwesenheit von Frauen auf den Bühnen der Welt und Theatergeschichte, weil sie neben oder hinter statt auf der Bühne waren, oder gleich zuhause, Essen machen oder Home-Schooling. Es ist ein klar queer-feministischer Text, aber er erschöpft sich darin nicht – "A Room of Our Own" fragt nach dem Theaterraum, danach, was er war und sein könnte, nach den Räumen, die es braucht, um Utopien zu leben, sich von Binaritäten und starren Identitäten zu befreien, zu verbinden. Das ist, der Titel sagt es schon, der große Unterschied zum Ausgangstext: Wo Woolf (aus gute Gründen) allein sein wollte, wird hier (aus guten Gründen) die Gemeinschaft, eine kollektive Solidarität herbeigesehnt.

Beschwörung der Marginalisierten

Der Theaterraum, den Judith nicht nur mit dem "Gespenst des Feminismus" (Buh!), sondern auch mit den Geistern all der Ausgeschlossenen und Abwesenden bevölkert (und man kann sie, während man diesen leeren, spärlich beleuchteten Bühnenraum vor sich hat, den hypnotischen Sound im Ohr, wirklich spüren!), macht immer wieder anderen Räumen Platz. Dem öffentlichen, in dem eine Gruppe weiblicher Gestalten mit Masken, Mützen, Kindern vor der Brust, Guerillaaktionen startet: Aus dem Willy-Brandt- wird der Judith-Shakespeare-Platz (die es wirklich gab: sie war seine Tochter), Plakate von Leslie Feinberg oder Elliot Page werden aufgehängt, Straßenszenen eines lateinamerikanischen Frauenprotestes gegen Männergewalt projiziert.

Es folgt der virtuelle Raum, Avatare, die das System und seinen kleinbügerlich-bürokratischen Multiple-Choice-Schluckauf (Familienstand, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ...) von einem Error zum nächsten Systemfehler treiben, ganz im Sinne von Legacy Russells Glitch-Feminismus: "Dieses kalkulierte Versagen ruft einen gewaltigen Schluckauf, ein Seufzen und Schaudern und Puffern der gewalttätigen soziokulturellen Maschine hervor." Schließlich führt ein Hund, der auf der Bühne noch reines Kläffen war und sich erst hinter dem Bühnenausgang materialisiert, in das Labor einer weißbekittelten Forscherin (Mariana Senne), die stolz ihre Entwicklung der Ektogenese präsentiert: Embryos lassen sich außerhalb des Körpers, in vollüberwachten und schadstofftechnisch unbedenklichen Plastiktüten austragen, alle können plötzlich Kinder kriegen, allein, zu zweit, zu vielt, es ist ein Traum, aber leider nur eine Zukunftsutopie.

a room of our own labor 1Die Biologin als Heldin © Swoosh Lieu

Zuletzt geht es zurück in den Bühnenraum, wo Licht, Sounddesign und Video, die schon die ganze Zeit über sehr präsent waren, vollends die Hauptrolle übernehmen. Während Judith davon träumt, dass wir "wieder tanzen", machen die Gewerke auf der leeren Bühne mit einer Discokugel Party. Auf formaler Ebene ist es nicht zuletzt diese starke Rolle der Gewerke (ein bisschen denkt man an Ernst Jandls "Der Raum"), die den Abend besonders macht und eine Präsenz und Dynamik entwickelt, die gerade bei Online-Theater nicht selbstverständlich ist. Und ganz nebenbei lösen Swoosh Lieu mit der Arbeit ein, was diese selbst als Wunsch in den Raum stellt: neue Formen von Theater, einer theatralen Gemeinschaft zu finden.

Ein bisschen schade ist, dass sie dabei einen blinden Fleck behalten, der Text bei allem Reden und Behaupten von Gemeinschaft, Solidarität und Miteinander sprachlich nicht eben barrierefrei ist und manchmal eher wie ein Gender-Studies-Proseminar klingt. Das ist natürlich nicht zuletzt den verwendeten Quellen geschuldet, dennoch: Jede*r wird diesen Abend nicht zugänglich finden. Trotzdem ist es ein Stück, das man sich anschauen sollte – weil es sehr vieles verhandelt und abbildet, das für das Theater gerade auf dem Spiel steht.

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A Room of Our Own. Vorstellung für Browser*in und variables Publikum
von Swoosh Lieu
Konzept, Szenenbild, Licht: Johanna Castell, Konzept, Komposition, Sounddesign, Text: Katharina Pelosi, Konzept, Schnitt, Kamera, Text: Rosa Wernecke, Kamera: Marie Zahir, Animation: Barbara Lanzarote.
Mit: Birte Schnöink, Mariana Senne.
Dauer: 35 Minuten.

www.swooshlieu.com